Geschichte und Wiederansiedelung
Etwa 400 Jahre, zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert, brauchte der Mensch, um den zuvor in den Alpen weit verbreiteten Alpensteinbock (Capra ibex) fast völlig auszurotten. Ursache war die intensive Bejagung, die ihrerseits mannigfaltig begründet wurde. Nicht nur das Fleisch des Steinwildes, nahezu alle Teile waren begehrt. Speziell Hörner, Knochen, sowie Bezoarkugeln, aber auch das Blut der Tiere spielten in der traditionellen Volksmedizin eine große Rolle. Der Steinbock galt als wandelnde Apotheke. Der technische Fortschritt der Schusswaffen ermöglichte auch weiten Teilen der nichtadeligen Bevölkerung, sich nun das begehrte Wildbret zu erlegen. Gesetzliche Schutzmaßnahmen für die schwindenden Steinwildbestände erfolgten zu spät, im Gegenteil: die wenigen Restbestände waren für die Wilderer nur noch begehrlicher, da die seltenen Steinböcke im Wert stiegen.
Gegen Mitte des 19. Jahrhundert hatte das Steinwild seinen Tiefstand erreicht und war beinahe aus dem gesamten Alpenraum verschwunden. Es gab nur noch eine einzige Restkolonie von 50 bis 100 Tieren im italienischen Gran Paradiso, gesetzlich geschützt durch einen Erlass des Königs Viktor Emmanuel II und in der Praxis gegen unerlaubten Abschuss von 150 Wildhütern verteidigt. Innerhalb kurzer Zeit vermehrte sich der Bestand stark und wuchs auf 600-800 Tiere an. Im Jahr 1915 lebten im Aostatal bereits wieder an die 4.000 Steinböcke. Das Gebiet wurde 1922 schließlich zum „Parco Nazionale Gran Paradiso“ erklärt. Von diesem kleinen Restbestand in Aosta stammen alle heutigen Steinwildkolonien ab.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wollte die Schweiz dem italienischen König einige Tiere für Wiedereinbürgerungen abkaufen. Endlose Verhandlungen folgten, die allesamt nicht den gewünschten Erfolg brachten. So wurden schließlich einige italienische Wilderer beauftragt, Steinböcke aus dem Gran Paradiso zu fangen und in die Schweiz zu schmuggeln. Auf diese Weise kamen 1906 die ersten Tiere illegal in den Wildpark Peter und Paul in St.Gallen, der eigens für die Züchtung von Steinwild eingerichtet worden war. In den folgenden Jahren wurden mehrere Steinböcke über die Berge in die Schweiz geschmuggelt. Sie bildeten den Grundstock für die Zucht und waren die Stammeltern der in den folgenden Jahren gegründeten Kolonien. Im Jahr 1911 wurden in der Schweiz die ersten Tiere aus den Gehegen in die freie Wildbahn entlassen.