Literatur
Die Literatur der ladinischen Täler hat ihre Wurzeln in der mündlichen Überlieferung von Sagen und Erzählungen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Die Sagen erinnern an eine andere Welt als die, die von der Literatur in der jüngeren Vergangenheit beschrieben wird. Die Sagen erzählen von einer vorchristlichen und präpatriarchalen Welt, in der die Frau nicht selten eine wichtige Rolle spielte. Denken wir an Dolasilla, Moltina, Luianta oder an Merisana, die in zahlreichen Erzählungen die Hauptrolle spielen. Über diese Sagen gibt es nur wenige schriftliche Aufzeichnungen; abgesehen von den Arbeiten einiger lokaler Schriftsteller (Tita Alton aus dem Gadertal oder Hugo de Rossi aus dem Fassatal), muss vor allem die umfangreiche und gründliche Studie des deutschen Journalisten Karl Felix Wolff genannt werden.
Damit ist die ladinische Literatur reich an Werken, auch wenn diese erst in der jüngeren Vergangenheit verfasst wurden. Die ersten Texte gehen auf das XVII. Jahrhundert zurück; in dieser Zeit wurden die ersten Kundmachungen verfasst. Eine Kundmachung in Fassanisch stammt aus dem Jahr 1631, eine in Fodom aus dem Jahr 1632. Im Jahr 1703 schrieb Bischof Kaspar Ignaz König eine Kundmachung zur Einberufung der Soldaten; dieser Text enthält 250 badiotische Wörter.
Ab 1800 tauchen auch die ersten Übersetzungen, die ersten wissenschaftlichen Studien und die ersten dichterischen Versuche auf. Im Jahr 1807 schrieb Matie Ploner (1770-1844) sechs kurze Volkserzählungen und 150 Wörter in Grödnerisch. Die wichtigsten Texte, die auch als die ersten Zeugnisse der grödnerischen Dichtkunst gelten, sind die zwei Gedichte mit dem Titel La vedla muta und L vedl mut. Im Gadertal schrieb Tone Agreiter, der Sohn des Lehrers-Mesners von Enneberg-Pfarre, mehr oder weniger im selben Zeitraum (1809-1840) ein Gedicht mit 28 Strophen. Als erster ladinischer Dichter gilt allerdings der junge Enneberger Angelo Trebo (1862-1888); er schrieb 27 Gedichte und drei Theaterstücke: Le Ćiastel dles Stries (1884), Le Scioz de San Jenn (1885) und Trëi dis regina (nicht vollendetes Werk). In Ampezzo schrieb Joani Gregorio Domenego Caisar (1821-1867) einen Reim mit dem Titel Satira bela longa e piena de pear.
Neben diesen Originaltexten liegen auch verschiedene Übersetzungen von Werken vor; in Badiotisch gibt es eine Übersetzung des Katechismus und der zehn Gebote aus dem Jahr 1836 oder die von Matî Declara übersetzte Geschichte der Heiligen Genoveva (1879), die den Untertitel “erstes ladinisches Buch" trägt.
Diese Texte gelten als die ersten zaghaften Entwicklungsschritte der ladinischen Literatur; die moderne ladinische Literatur tritt heute auf jeden Fall aber wesentlich selbstbewusster auf. Zahlreiche Autoren stellen ihre literarischen Fähigkeiten unter Beweis. Die bekanntesten Schriftsteller sind Rut Bernardi aus Gröden und Iaco Rigo aus dem Gadertal. Rut Bernardi ist als Autorin von ladinischen und deutschen Texten bekannt. Zu ihren Werken zählen ein Theaterstück mit dem Titel Ladin defin, der Roman Lëtres te n fol, den sie auch ins Deutsche und ins Ladin Standard übersetzt hat. Bernardi hat auch eine Reihe von Gedichten als eigenständige Publikationen, aber auch zur Veröffentlichung in diversen Zeitschriften verfasst und eine CD mit Hörgeschichten herausgegeben.
Iaco Rigo begann seine literarische Tätigkeit mit der Gedichtsammlung Momonć, danach veröffentlichte er diverse CDs mit Musiktexten und zahlreiche Erzählungen und Romane: Da doman le ćiarü, La fata, Les vites de Elena R., La Maschera und Anastasia o L’aurela dla vita. Rigo schreibt nicht nur Gedichte, Erzählungen und Romane, sondern auch Theaterstücke und andere Texte, für die er bereits in Italien und auch im Ausland mehrfach mit angesehenen Preisen ausgezeichnet wurde. Rut Bernardi arbeitet als Freiberuflerin und als Literaturschaffende, Rigo ist Chefredakteur der Wochenzeitschrift La Usc di Ladins.