Traditionen und Bräuche
Die ladinischen Täler weisen eine Vielzahl von Traditionen und Bräuchen aus alter Zeit auf. Bei den meisten Bräuchen besteht ein enger Zusammenhang zur Natur und zur Feldarbeit. Zu den diversen Anlässen im Laufe eines Jahres werden zahlreiche Traditionen gepflegt, vor allem rund um wichtige Ereignisse im Leben der Familie entstanden vielfältige Bräuche und Gepflogenheiten. Die zu den verschiedenen festlichen Höhepunkten im Jahreskreis praktizierten Volksbräuche machen daher einen bedeutenden Teil des ladinischen Kulturguts aus. Vor allem das Leben der Bauern und Handwerker ist reich an Beispielen für Traditionen, die Aufschluss über die Besonderheiten geben, die die ladinische Bevölkerung und ihre Kultur auszeichnen. Auch wenn mit der Entwicklung des Fremdenverkehrs ab den 60er-Jahren ein Großteil dieser Gepflogenheiten verloren gegangen ist, konnten Teile des traditionellen Brauchtums, das das Leben der ladinischen Bergbevölkerung prägt, bis heute überliefert und bewahrt werden.
Der hohe Stellenwert des christlichen Glaubens, der in den Dolomitentälern stark verwurzelt ist, wurde z.B. von Generation zu Generation weiter vermittelt. Zusammen mit den christlichen Wertvorstellungen wurden auch verschiedene andere Traditionen überliefert. Jedes Jahr findet z.B. am letzten Sonntag im September ein Treffen aller Ladiner im Wallfahrtsort Maria Weißenstein statt. Zu den Traditionen im Gadertal gehört die alle drei Jahre stattfindende Wallfahrt der Gadertaler Männer zum Kloster Säben, wobei sie manchmal von anderen Männern aus den anderen Tälern begleitet werden. Das sind die zwei bekanntesten Prozessionen, dazu kommen aber noch andere kleinere Prozessionen, die regelmäßig in jedem Tal zu verschiedenen Anlässen im Laufe des Jahres stattfinden. Neben den Prozessionen gibt es noch andere wichtige Ereignisse für das Leben der ladinischen Bevölkerung. Anlässlich der wichtigsten Kirchenfeiertage des Jahres schmücken die Familien ihr Heim festlich: mit Krippe, Christbaum und Girlandenschmuck in der Advents- und Weihnachtszeit und mit Olivenzweigen, bunten Eiern und einem geweihten Korb zu Ostern. Aber auch im Sommer und im Herbst gibt es Gelegenheit, die Bräuche der Vorfahren zu pflegen. Am Feiertag Maria Himmelfahrt, der als Mittsommer-Dankesfest verstanden wird, bringen Frauen Blumenkörbe zur Weihung in die Kirche mit. Zu Allerheiligen erhalten die Patenkinder traditionsgemäß von ihren Paten ein süßes Brot in Form eines Pferds oder einer Henne.
Nicht nur während des Kalenderjahres, sondern auch im persönlichen Leben der Menschen gibt es eine Reihe von wichtigen mit dem Glauben verbundenen Anlässen. Zu den bedeutendsten Momenten in unserem Leben gehört sicher die Hochzeit; früher wurde dieses Ereignis als eine hervorragende Gelegenheit angesehen, um mit Volksbräuchen das künftige Glück des jungen Paares einzuleiten. Jedes Detail hatte seine eigene besondere Bedeutung; an der Bekleidung, an den Accessoires, an der Haltung konnte man erkennen, in welcher Beziehung die Gäste zu den Brautleuten standen. Am Hochzeitstag gab es vom frühen Morgen bis zum Zeitpunkt des Zubettgehens eine Reihe von Ritualen. Viele dieser Bräuche sind heute verloren gegangen; nur noch selten werden am Tag, an dem die Vermählung bekannt gegeben wird, "fortaies" (Strauben, eine spiralförmige Süßspeise) aufgetischt, kaum jemand steht noch um sechs Uhr morgens auf, um mit der Mutter den Rosenkranz zu beten, nur wenige bereiten die "falsche" Braut vor, bevor die richtige Braut dem Trauzeugen übergeben wird. Die Hochzeitsfeier gehört aber immer noch zu den prächtigsten Festereignissen; erwähnenswert sind auch andere Gepflogenheiten, etwa die Paraden, mit denen der Weg zur Kirche versperrt wird (so genannte „sarada“), oder der Verkauf einer hornlosen Ziege an die älteren unverheirateten Geschwister des Brautpaares.
Auch wenn Religion und Kirche die wichtigsten Säulen des ladinischen Kulturgeschehens bilden, gibt es auch ein vielfältiges Brauchtum im Alltagsleben. Vor allem die Bauern beachten die traditionellen Brauchtumsregeln; hinter einfachen Tätigkeiten wie Grasmähen oder den Verfahren im Ackerbau und in der Viehzucht steht ein reicher Wissensschatz, der den Menschen in den ladinischen Tälern die Entwicklung einer eigenen lebendigen Kulturwelt ermöglichte.
Auch rund um andere Festereignisse, wie z.B. die Kirchtagsfeste, bildeten sich zahlreiche Bräuche. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die typischen Süßspeisen, die jedes Dorf und jedes Tal zu diesen Festen zubereitet. Unter den Jugendlichen ist es z.B. Brauch, dass die Burschen den Mädchen im Herbst eine Birne schenken, während die Mädchen sich bei den Burschen zu Ostern mit bunten Ostereiern bedanken.
Ein althergebrachter Brauch wird bis heute gepflegt: Am Neujahrstag ziehen die Kinder von Haus zu Haus und überbringen die Glückwünsche für das neue Jahr.