Archivale des Monats

Die Ferrovie dello Stato übernehmen die Überetscherbahn

Archiv der Südtiroler Transportstrukturen AG, Nr. 298

Die Überetscherbahn, im Volksmund auch als „Kalterer Bahnl“ bezeichnet, war eine normalspurige Lokalbahn, die seit 1898 Kaltern mit Bozen verband und nicht nur für Tourismus und Personenverkehr, sondern auch für den Gütertransport eine gewisse Rolle spielte. Die Errichtung der Bahn wurde von der Überetscherbahn AG finanziert, deren Hauptaktionäre der Kalterer Bürgermeister Andreas Freiherr von Di Pauli und die Bozner Bank E. Schwarz’ Söhne waren, und die 1903 auch die Mendelbahn bauen sollte. Der Betrieb dagegen lag in den Händen der Südbahn-Gesellschaft mit Hauptsitz in Wien, die auch weitere Bahnen in Tirol und anderen Kronländern führte. Der Erste Weltkrieg zeitigte für die Lokalbahnen, namentlich für die Mendelbahn, denkbar nachteilige Folgen, da der Fremdenverkehr nahezu völlig versiegte. Die Überetscherbahn wurde nun auch für Kriegstransporte genutzt, während der ordentliche Personen- und Güterverkehr zurückging und damit die Einnahmen sanken. Doch es sollte schlimmer kommen: Mit Inkrafttreten des Waffenstillstands am 4. November 1918 wurden die Überetscher- und die Mendelbahn – wie auch alle anderen Bahnen des Landes – von der italienischen Militärverwaltung beschlagnahmt und auf Erlass des Kommandanten der I. Armee vom 19. November einer Delegation der Ferrovie dello Stato übergeben. Durch die Abriegelung der Brennergrenze in den ersten Monaten nach der Besetzung Südtirols war außerdem die Verbindung zur Zentrale der Südbahn-Gesellschaft vollständig unterbrochen, weshalb die Betriebsverträge mit Anfang des Jahres 1920 gekündigt wurden. Die Überetscherbahn AG wandte sich im Frühjahr 1919 an die zuständige Delegation der Staatsbahnen in Trient und bat um Klärung hinsichtlich einer finanziellen Vergütung der Verluste, die ihr durch die Beschlagnahmung der beiden Bahnen erwachsen waren. Die Antwort der Delegation vom 11. Mai 1919 aber fiel klar aus: Eine Entschädigung war demnach nicht möglich, da die Übernahme der Bahnen „gestützt auf die zwischen Italien und Öesterreich-Ungarn getroffenen Waffenstillstandsbedingungen erfolgte, und zwar aus politischen und militärischen Gründen, wie auch gestützt auf das Kriegsrecht.“ Die Ferrovie dello Stato führten die Überetscher- und die Mendelbahn bis Mai 1922 und übergaben sie dann an die Ferrovia Elettrica Transatesina S.p.A, die 1919/20 aus der alten Übertscherbahn AG hervorgegangen war. 1929 wurden die Bahnlinien von der Società Trentina di Elettricità S.p.A., die auch die Linien Bozen–Ritten, Mendel–Dermulo, Auer–Predazzo und Bozen–Virgl betrieben, übernommen. 1960 wurde die Überetscherbahn AG zusammen mit der Fleimstalbahn AG in die Rittnerbahn AG eingegliedert. Doch waren zu diesem Zeitpunkt die Zahlen der transportierten Personen und Güter schon lange rückläufig und die Bahn schrieb aufgrund der zunehmenden Konkurrenz durch Automobile und Überlandbusse rote Zahlen; 1963 musste der Personentransport eingestellt werden, die Auflassung des Gütertransportes 1971 besiegelte das (vorläufige) Ende der Überetscherbahn.

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