Archivale des Monats

Heirats-, Erbschafts- und Bildungspraxis des Tiroler-Trentiner Adels um 1700

Die Erbschaft der Johanna Felicitas von Welsperg, verehelichte Lichtenstein-Castelcorno

Familienarchiv Welsperg, Bestand Primör, Nr. 533

Nach Burg Welsperg nannten sich seit dem 12. Jahrhundert Dienstleute des Bistums Freising. Welsperg, am Rande des freisingischen Immunitätsbezirkes im Hochpusteral gelegen, ging im 13. Jahrhundert an die Grafen von Görz über. Im Dienst ebendieser Görzer, der Brixner Fürstbischöfe sowie später der Grafen von Tirol und der Habsburger gewannen die 1539 in den Freiherren-, 1693 in Grafenstand erhobenen Herren von Welsperg zunehmend an Bedeutung und gehören somit zu den erfolgreichsten Geschlechtern des älteren Tiroler Adels.
1618 erfolgte zwischen den Brüdern Jakob Hannibal und Sigmund Wolfdietrich von Welsperg die letzte große Erbteilung. Damit separierte sich die Familie in zwei Linien, in eine „welsche“ und eine „teutsche linia“. Während Ersterer die Herrschaft Primör, einige Güter in der Herrschaft Telvana, den Zehent zu Caldonazzo sowie für seine Person das Seniorat übernahm (diese Linie ist auch unter der Bezeichnung Primörer Linie bekannt), erhielt Letzterer die Pustertaler Güter (ohne Seniorat), die Herrschaft Telvana und ein später gefreites Haus in Borgo Valsugana (diese Linie wird wegen des Raitenauer Erbfalles auch Raitenauer oder Langensteiner Linie genannt). Selbstredend standen sich die beiden Familienzweige trotz der Teilung weiterhin sehr nahe: das war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass der jeweils älteste im Namen aller belehnt wurde und beide Familienältesten jeweils das Tiroler Erbstäbel- und -küchenmeisteramt versahen, sondern auch, weil zwischen beiden Zweigen auch geheiratet wurde, wohl vordergründig, um das Familienvermögen nicht weiter zu schmälern. Denn wenngleich sich die adelige Familienpolitik in der Frühen Neuzeit primär auf die agnatische Linie konzentrierte, war die standesgemäße Versorgung der weiblichen Familienmitglieder keineswegs unbedeutend.
Somit konnten also nicht nur durch Erbschaftsverzichte, sondern auch durch Verwandtenheiraten die Entfremdung beträchtlichen Vermögens verhindert werden, zumal das Heiratsgut in dem Fall in der Familie verblieb. Am Beispiel der Johanna Felicitas verehelichte Lichtenstein-Castelcorno, Tochter des Sigmund Anton von Welsperg-Primör und der Maria Felicitas von Welsperg-Langenstein, soll hier die adelige Erbschaftspraxis kurz etwas näher beleuchtet werden.
Aus dem mütterlichen Erbe standen ihr über 37.000 Gulden zu, davon waren laut Teilungsvergleich von 1671 15.000 Gulden auf die Herrschaft Langenstein verschrieben und wurden jährlich mit 500 Gulden verzinst. Angesichts dieses ansehnlichen mütterlichen Erbes einigte sich Maria Felicitas mit ihrem Onkel väterlicherseits Georg Bonaventura auf einen väterlichen Pflichterbanteil von nur 2.000 Gulden. Nach weiteren Verzichts- und Schenkungserklärungen verglich sich Maria Felicitas vor dem Hintergrund des Ausbruchs des spanischen Erfolgekriegs auch mit ihrem Onkel mütterlicherseits Guidobald Anastasius über das erwähnte auf Langenstein haftende Schuldkapital, das nunmehr mit 11.000 Gulden abgelöst werden konnte. Ein Teil, 4.000 Gulden, sollten zu Bozen erlegt werden, die restlichen 7.000 mit einem Zinssatz von 5% ab Lichtmess 1701 angeschrieben, ehe sie bei Gelegenheit des Bozner Marktes endgültig abgelöst werden sollten.
In dieses Schuldablösungsgeschäft ist das diesmonatige Archivale zu verorten.
Ein letzter Punkt, der in diesem Zusammenhang einer Betrachtung lohnt, ist das Bildungsniveau und Sprachgebrauch der Adeligen: Nicht nur innerhalb der Grenzen Alt-Tirols, sondern auch innerhalb der Familie Welsperg wurden mehrere Sprachen gesprochen. Während die Söhne entweder auf eine politische, diplomatische, militärische oder kirchliche Karriere vorbereitet wurden und eine mehr oder weniger profunde Ausbildung erhielten, die häufig in der sogenannten Grand Tour durch Europa gipfelte, war zumindest der für landadelige Mädchen beschrittene Bildungsweg meist deutlich kürzer und bestand vordergründig in Privatunterricht oder Unterricht durch die Mutter bzw. Verwandte. Mehrsprachigkeit des Adels war nicht nur aus bildungsideellen, sondern in gemischtsprachigen Regionen allein schon aus praktischen Gründen für Adelssöhne und -töchter gleichermaßen gewünscht. Mit Sicherheit, so haben jüngere Forschungen ergeben, war Mehrsprachigkeit im weiblichen Adel keine allzu seltene Erscheinung.
Die sowohl in deutscher als auch in italienischer Sprache verfassten Briefe der Johanna Felicitas an Guidobald Anastasius deuten allerdings auch darauf hin, dass zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch doch ein gewisser Niveauunterschied bestanden haben mag, der bei ihren männlichen Verwandten nicht in dem Ausmaß festzustellen ist.

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