Archivale des Monats

Alpine Bräuche, Südtiroler Berge und eine Mühle in Feldthurns als Werbung für ein Fleischextrakt

Liebig-Sammelbilder und die Veränderung der Lebenswelt im 19. Jahrhundert

Sammlung Helene Oberleiter, Nr. 333_1

Durch die zunehmende Industrialisierung mehrerer Landstriche Europas im 19. Jahrhundert gingen immer mehr Menschen – auch Frauen – einer Erwerbstätigkeit außer Haus nach, das bedeutete räumliche Entfernung vom Wohnort sowie eine feste Arbeitszeit mit oft kurzen Mittagspausen. Der Anspruch gesteigerter Produktivität und Effizienz beeinflusste somit auch die Essgewohnheiten breiter Bevölkerungsschichten: Essen sollte günstig, schnell verfügbar, sättigend und kräftigend sein.
Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in Frankreich und England ein Verfahren zur Konservierung von Lebensmitteln durch Erhitzung und luftdichtes Verpacken in Glas- oder Metallbehältnissen entwickelt. Nahrung in Konservendosen war kostengünstig, leicht transportier- und ohne weitere Zubereitung verzehrbar.
Einen anderen Ansatz verfolgte der deutsche Chemiker und Universitätsprofessor Justus Liebig (1803–1873), der mit seinen Forschungen eine Verbesserung der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion anstrebte. Er entwickelte ein Produktionsverfahren, durch das Fleisch zum Extrakt verdichtet werden konnte. Da Fleisch in Europa aber sehr teuer war und für 1 kg Extrakt etwa 32 kg Frischfleisch benötigt wurden, konnten sich nur Begüterte das in den Apotheken verkaufte Spezialprodukt leisten.
Dies änderte sich, als der deutsche Ingenieur Georg Giebert auf einer Reise durch Uruguay die riesigen Rinderherden sah, die ausschließlich zur Gewinnung von Leder, Fett und Horn gehalten wurden. 1863 gründete Giebert im Hafen von Frey Bentos in Uruguay ein Werk zur Herstellung des Fleischextrakts, das ab 1865 als „Liebig’s Extract of Meat Company Limited“ zu einem weltweit erfolgreichen Unternehmen anwuchs.
War die Zubereitung einer Fleischsuppe bis dahin teuer und zeitaufwändig gewesen, genügten nun eine kleine Menge Fleischextrakt und heißes Wasser, um im Handumdrehen eine schmackhafte Brühe zu erhalten. Der Erfolg war durchschlagend: Nur wenige Jahre nach der Gründung wurden aus Uruguay jährlich etwa 400 Tonnen Fleisch-Extrakt exportiert.
Ebenso genial wie das Produkt selbst war die Verkaufsstrategie: Jeder Packung Fleischextrakt war ab 1875 ein sogenanntes Liebig-Bild beigefügt, später auch ganze Serien. Die vielen Tausend Liebig-Bilder, die lehrhaften Charakter hatten und in verschiedenen Sprachen erschienen, wurden schnell zu begehrten Sammelobjekten: Während auf der Rückseite das Produkt beworben wurde, zierten die Vorderseite Abbildungen von Landschaften, Pflanzen, Tieren und Völkern ferner Länder oder auch Szenen aus der Geschichte, aus Märchen oder Opern.
Eine Serie war den Sitten und Gebräuchen der Alpen gewidmet, jeweils begleitet von der Abbildung eines markanten Bergs. Sogar eine mit Wasserkraft betriebene Mühle in Feldthurns schaffte es auf eine Liebig-Sammelkarte, während auf der Rückseite die maschinelle Abfüllung des Fleisch-Extrakts in einer Fabrikanlage zu sehen war.

ep

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