Archivale des Monats
Das Urbar der Rottenburger
Heinrich VI. von Rottenburg († 1411) zählt zweifelsohne zu den prominentesten Persönlichkeiten des Tiroler Mittelalters. Dies ist insbesondere auf seine Rolle als Anführer des heimischen Adels in dessen Opposition gegen Herzog Friedrich IV. von Österreich zurückzuführen.
Heinrich wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts als Sohn des Heinrich V. von Rottenburg († um 1400), des Hofmeisters der Gefürsteten Grafschaft Tirol und Hauptmanns an der Etsch, geboren. Durch bedeutende Erwerbungen konnte dieser die ohnehin schon bedeutende Stellung seiner Familie sowohl am Inn als auch an der Etsch, vor allem aber in Kaltern und auf dem Nonsberg, weiter ausbauen. Wie sein gleichnamiger Vater bekleidete Heinrich VI. wichtige landesfürstliche Ämter, darunter das des Hauptmanns an der Etsch und des Burggrafen auf Tirol. Im Jahre 1407 gründete er einen Ständebund, in dem sich der lokale Adel, die Städte und einige Landgemeinden Tirols zusammenschlossen, um ihre Rechte gegenüber Herzog Friedrich IV. von Österreich zu verteidigen. Dieser hatte ein Jahr zuvor einen Teil des Erbes seines Vaters Leopold III. angetreten und gerade Tirol und die Vorlande übernommen. Die führende Rolle Heinrichs in den Auseinandersetzungen zwischen dem lokalen Adel und dem neuen Landesfürsten resultierte im Jahr 1410 in der sogenannten „Rottenburger Fehde“. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung holte Heinrich von Rottenburg sogar die Bayern unter Herzog Stephan III. von Bayern-Ingolstadt ins Land. Nachdem der bayerische Vormarsch im Unterinntal vor Hall gestoppt werden konnte und ein Waffenstillstand zwischen Friedrich und Stephan unterzeichnet worden war, begann der Tiroler Landesfürst mit der Belagerung der zahlreichen Burgen des Rottenburgers, darunter Caldiff, Enn, die Leuchtenburg und die Laimburg. Schließlich gelang es Herzog Friedrich, den Rottenburger festzunehmen und in Innsbruck zu inhaftieren, bis er im Frühjahr 1411 freigelassen wurde und kurz darauf in Kaltern verstarb.
In Kaltern erinnern der Rottenburger Platz sowie das von Heinrich von Rottenburg im Jahr 1404 gestiftete Spital zum Heiligen Geist an ihn. Letzterem wurde nach seiner Umfunktionierung in ein modernes Seniorenheim auch Heinrichs Namen verliehen. Da Herzog Friedrich den größten Teil der Besitzungen Heinrichs von Rottenburg konfiszierte, verweisen nicht nur diese Orte auf ihn und seine politische Revolte. Im Besitz des Südtiroler Landesarchivs befindet sich das um 1350 vom Heinrichs Großvater, nämlich Heinrichs IV., angelegte Urbar der Rottenburger in Kaltern. Die auf Papier geschriebene, in Mittelhochdeutsch verfasste und in südliches Pergament gebundene Handschrift trägt mehrere alte Signaturen des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien, wohin das Urbar aus Innsbruck gelangte, und umfasst insgesamt 94 Blätter, von denen 93 nummeriert sind. Das Urbar stellt eine herausragende Quelle zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie zur Siedlungs- und Ortsnamensgeschichte Kalterns dar. Es verzeichnet die zahlreichen Besitzungen in den verschiedenen Ortsteilen und Fluren dieser alten Marktgemeinde, die ehemaligen Besitzer, von denen sie erworben wurden, sowie die damaligen Pächter. Insofern stellt diese Quelle auch ein wichtiges Dokument für die Genealogie und Familiengeschichte des Kalterer Raumes dar.
WL
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