Archivale des Monats
„Kristkindlfahrt nach Solda“ im Dezember 1933 – Der Hotelier Franz Angerer und sein geliebter „Oanser“ (Fiat 501)
Am Silbernen Sonntag 1933 bestieg Franz Angerer (1880–1946) sein Automobil der Marke Fiat 501, um trotz Eiseskälte und Schnee die Fahrt von seinem Meraner Winterdomizil ins verschneite Sulden zu wagen, wo das Posthotel zum Ortler im Winterschlaf lag. Franz Angerer hatte den 1871 von seinem Vater Franz senior eröffneten „Ortler Hof“ samt Dependance 1904 übernommen und in „Posthotel zum Ortler“ umbenannt, da dort zusätzlich eine Post- und Telegrafenstation eingerichtet war. Der umtriebige Gastwirt wurde damit zum allseits bekannten „Postmeister Angerer“, der zusammen mit seiner aus Meran stammenden Frau Franziska (Fanny) Aschberger das Hotel erfolgreich führte und stetig erweiterte: In den dreißiger Jahren hatte das Hotel 50 Zimmer mit 80 Betten, verfügte über ein Restaurant und ein Tanzlokal, außerdem gab es einen eigenen Bergführer, das Post-, Telegrafen- und Telefonamt, einen Fotografen, einen Friseur, eine eigene Metzgerei und eine Schneiderei.
Die zahlungskräftige internationale Kundschaft erreichte das Hochgebirgstal problemlos über die 1892 eröffnete Straße von Gomagoi nach Sulden, bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein natürlich in Kutschen und regelmäßig verkehrenden Pferde-Omnibussen. Doch als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs das Hotel 1921 erstmals wieder eröffnet werden konnte, hatte das Automobil seinen Siegeszug angetreten und Franz Angerer erkannte die Zeichen der Zeit: Am 1. April 1925 erwarb er von Adolf Vatter, Direktor des Hotel Excelsior in Meran, die Hälfte eines Fiat 501 „Tipo Lusso“, um damit Hotelgäste nach Sulden zu fahren. Die Vereinbarung sah vor, dass Angerer das Auto in der Sommersaison nutzen durfte, während Vatter es im Winterhalbjahr in Meran zur Verfügung hatte. Doch Angerer war so begeistert von dem leistungsstarken Wagen, dass er Vatter knapp zwei Monate später das Auto zur Gänze abkaufte.
In dem humorigen Text, den er 1933 für die Veröffentlichung in einem Lokalblatt verfasste, deutet er an, dass er mit dem Automobil nicht nur Gäste und müde Wanderer transportierte, sondern auch in mancherlei Notfällen erkrankte oder verletzte Personen in rascher Fahrt ins Meraner Krankenhaus gebracht hatte. Der Fiat 501 scheint einen besonderen Platz in seinem Herzen eingenommen zu haben, auch wenn er 1933 bereits ein zweites Auto besaß, einen amerikanischen Ford Typ A, Baujahr 1929. Mit diesem hatte Franz Angerer zusammen mit seinem Sohn Hubert im September 1933 auf der durch Bauarbeiten verengten Suldner Straße einen Unfall, über den auch die Lokalpresse berichtete. Die beiden Insassen kamen glücklicherweise ohne nennenswerte Verletzungen davon, doch das Auto erlitt einen größeren Schaden.
Das hielt den Hotelier jedoch nicht davon ab, im tiefsten Winter mit seinem Fiat 501 eine Fahrt nach Sulden zu riskieren. Hinter Schlanders waren die Schneewächten auf der Talstufe so hoch, dass er bei Schritttempo zwei Pferde mitführte, die den Wagen notfalls ziehen hätten sollen. Doch noch vor Laas trat er die Tiere an einen hängengebliebenen Autofahrer ab und schaffte es mit dem Fiat immerhin bis Gomagoi. Dort mussten die Reisenden endgültig auf einen Pferdeschlitten umsteigen, um bei eisigen Temperaturen Sulden zu erreichen. Die Fahrt ins winterliche Sulden war aber wohl keine reine Vergnügungsfahrt, sondern vielleicht die Generalprobe für die bevorstehende allererste Wintersaison der Suldner Hotels. Als der Skisport in den frühen 1930er immer mehr Liebhaber fand, öffneten die Suldner Hotels im Februar/März 1934 erstmals ihre Tore für Wintersportler. Franz Angerer hatte sein Posthotel zu diesem Zweck mit einer modernen Heizanlage aufgerüstet und winterfit gemacht. Und die Gäste kamen in Scharen.
ep
HT
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