Archivale des Monats
Die Baumwollspinnerei St. Anton bei Bozen und die Schwierigkeiten des Krieges
Bereits anlässlich der Verwaltungsratssitzung am 21. Oktober 1914 berichtete der Geschäftsführer der Baumwollspinnerei, Franz Madlener, dem Vorstand Franz von Kofler sowie Franz Kinsele und Fritz von Tschurtschenthaler über Schwierigkeiten beim Bezug von Rohbaumwolle. Aber nicht nur der Rohstoff wurde knapp, auch zahlreiche Arbeiter der Fabrik waren in den ersten Kriegsmonaten eingezogen worden. Die Situation verschärfte sich namentlich mit dem Eintritt Italiens in den Krieg im Mai 1915: Der Spinnereibetrieb musste vollständig eingestellt werden, während die Weberei in reduziertem Umfang weitergeführt werden konnte; zudem waren alle auf italienischem Staatsgebiet vorhandenen österreichischen Vermögenswerte beschlagnahmt worden, so auch die in Genua lagernde Baumwolle der Baumwollspinnerei. 1915 wurde die gesamte Fabrikanlage in Bozen durch das Militär beschlagnahmt und bis Kriegsende als „Behelfskraftwagen-Reparaturstätte“ geführt, in die Arbeiterwohnungen wurden Soldaten einquartiert, 1917 zusätzlich eine „Sanitäts-Materialfassungsstelle“ dort eingerichtet. Damit war an eine Weiterführung der Produktion bis Kriegsende nicht mehr zu denken; die Zukunft der Baumwollspinnerei schien insgesamt ungewiss. Kurz nach Abschluss des Waffenstillstands wurde in einer Verwaltungsratssitzung Ende November 1918 beschlossen, die italienische Militärregierung um die Erlaubnis zur Räumung der Fabrik und zur Wiederaufnahme der Produktion zu ersuchen. Ein Vertreter sollte nach Genua reisen, um die dort eingelagerte, 1915 unter Sequester gestellte Baumwolle abzuholen. Doch konnten die Hindernisse nicht so rasch beseitigt werden, wie erhofft. Es musste Kapital zur Wiederaufnahme der Produktion beschafft werden, in Genua standen langwierige Verhandlungen um die Freigabe der Baumwolle an. So konnte die Weberei erst Anfang April 1919 ihre Produktion wieder aufnehmen, kurze Zeit später folgte die Spinnerei. Aufgrund der veränderten politischen Gesamtsituation und damit verbundener großer bürokratischer Schwierigkeiten beim Export in die alten Absatzmärkte musste sich die Baumwollspinnerei insgesamt nach Italien umorientieren, wo der Markt allerdings bereits weitgehend gesättigt war. Trotzdem konnte sich die Bozner Baumwollspinnerei in den kommenden Jahrzehnten behaupten und ihren Betrieb sogar ausweiten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg liefen die Geschäfte zunächst noch gut, in den sechziger und siebziger Jahren war die Nachfrage nach den Produkten der Baumwollspinnerei aber rückläufig und die Fabrik arbeitete nicht mehr gewinnbringend. 1978/79 wurde der Betrieb in St. Anton eingestellt, das Fertigungsgebäude abgerissen; in reduzierter Form wurde die Produktion noch bis in die neunziger Jahre in der Bozner Industriezone weitergeführt.
ep
PT
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