Giulio Andreotti: Vertrag hat sich bewährt
Giulio Andreotti wurde am 14. Januar 1919 in Rom geboren und war an 33 italienischen Regierungen beteiligt und dabei sieben Mal Ministerpräsident. Als Regierungschef erklärte Andreotti 1992 das Paket für erfüllt, darauf wurde im Juni 1992 die Streitbeilegungserklärung abgegeben. 1946 gehörte Andreotti zum persönlichen Mitarbeiterstab von Ministerpräsident Alcide Degasperi und war nach Abschluss des Pariser Vertrages maßgeblich an der Ausarbeitung des so genannten Optanten-Dekrets beteiligt.
» Zwei Film-Ausschnitte aus Andreottis Festrede im Landtag. (10 MB) (8 MB)Das Pariser Abkommen war seiner Zeit voraus, meint Giulio Andreotti. Der oftmalige Ministerpräsident Italiens, der als enger Mitarbeiter von Ministerpräsident Degasperi die Verhandlungen in Paris verfolgte, stuft den Vertrag als Musterbeispiel friedlicher Minderheitenpolitik ein, dessen wahrer Wert erst im Laufe der Jahrzehnte erkannt und ausgeschöpft worden sei.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
hat Italien eine von tiefgreifenden
sozialpolitischen Veränderungen gekennzeichnete
Phase erlebt. Welche Rolle spielte
in diesem besonderen Kontext das Vorhandensein
einer deutschen Minderheit in Südtirol?
Durch die klugen Maßnahmen,
die bei der Nachkriegsregelung in Südtirol
ergriffen wurden, konnten Spaltungen
und zukünftige Krisen vermieden werden.
Der vereinbarte Entwurf des Sonderstatutes
für die Region ermöglichte ein konstruktives
Zusammenleben der Volksgruppen, während
man die ungelösten Fragen der Vergangenheit
(Rückoption usw.) mit offenem Geiste regelte.
Es war ein Vorbild, das auch im Ausland auf
immer größere Zustimmung stieß.
Ministerpräsident Alcide Degasperi dehnte
den Wirkungsbereich des Abkommens auch
auf die Provinz Trient aus. Statt eines Minderheitenschutzes
nur für die Südtiroler
kam es zu einer Regionalautomie. Hat sich
dieser Entschluss nachträglich als richtig
oder falsch erwiesen?
Ich glaube, dass die Regionalautonomie
der richtige Weg war. Natürlich
zählte für Degasperi auch seine Herkunft aus
dem Trentino. Er war aber ein sehr offener
Mensch. Da ich mich persönlich um die Frage
der Rückoptionen kümmern musste, gab
er mir eine präzise Anweisung: ‚Mit Großzügigkeit
handeln, und in schwierigen Fällen
keine negativen Entscheidungen treffen,
sondern die Entscheidungen aufschieben.
Mit der Zeit kommt alles wieder in Ordnung.
Und so kam es auch.
Sind das Paket und das darauffolgende
zweite Autonomiestatut als Fortschreibung
des Pariser Vertrags anzusehen oder wurde
dadurch ein ganz neuer Weg eingeschlagen?
Es ist ganz eindeutig eine Kontinuität
vorhanden. Und auch wenn es für den
Abschluss des Paketes viel Zeit gebraucht hat,
so glaube ich, dass der Wille dazu auf beiden
Seiten niemals gefehlt hat.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich
die Autonomie zu einem erfolgreichen Modell
entwickelt. Wie lässt sich Ihrer Meinung
nach der Aufschwung erklären, den Südtirol
ab den 70er Jahren erlebte?
Dieses Land hat eine sehr anständige,
arbeitsame Bevölkerung, die von einer
starken christlichen Tradition geprägt ist.
Obwohl es sich um eine sehr weite Autonomie
handelt, haben die Forderungen
nach Selbstbestimmung auch noch heute
nicht ganz aufgehört. Steht es der österreichischen
Minderheit in Südtirol zu, auf ein
solches Recht zu bestehen?
Nein. Die Verfassungsgebende
Versammlung hat das Autonomiestatut genehmigt
und Bozen – das möchte ich unterstreichen
– ist eine Provinz Italiens.
Ist der Pariser Vertrag ein wertloses Überbleibsel
aus einer entfernten geschichtlichen
Epoche, die in der europäischen Union
längst überwunden ist?
In Paris hatten die Siegermächte
das Sagen. Das bestätigt sich auch darin,
dass mit Tito jede Vereinbarung unmöglich
war. Umso höher ist meine Wertschätzung
für das Gruber-Degasperi-Abkommen, das
autoritäre Entscheidungen der Konferenz
abwenden konnte.