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Südtirol und Ostbelgien: "Gemeinsame Herausforderungen"
Ähnlich wie Südtirol verfügt die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens über eine weitreichende Autonomie. LH Kompatscher und Ministerpräsident Paasch berichteten heute über die Kooperation.
Dass das Jahr 2022 hierzulande ganz im Zeichen der Autonomie (50 Jahre Zweites Autonomiestatut und 30 Jahre Streitbeilegung) steht, hat eine Regierungsdelegation der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens zum Anlass genommen, Südtirol einen Besuch abzustatten. Die ostbelgische Delegation mit Ministerpräsident Oliver Paasch an der Spitze ist am Montagabend in Bozen eingetroffen. Am heutigen Dienstag (15. Februar) tauschte sich Paasch im Anschluss an die Sitzung der Landesregierung mit Landeshauptmann Arno Kompatscher und den Mitgliedern der Landesregierung über die Tätigkeiten im Rahmen der langjährigen Kooperation aus.
Landeshauptmann Kompatscher betonte bei der Pressekonferenz im Anschluss an die Landesregierungssitzung die gute Zusammenarbeit. "Seit 30 Jahren arbeiten wir eng zusammen. Zwischen unseren beiden Ländern gibt es einen vielfältigen Austausch vor allem in den Bereichen Sprachvermittlung und Mehrsprachigkeit, Schule und Kultur sowie Wirtschaft", erklärte Kompatscher. "Ein besonders aktuelles Thema ist etwa der Umgang mit dem Fachkräftemangel und die schwierige Suche nach mehrsprachigem Personal, ein Problem, für das beide Länder auf ähnliche Weise nach Lösungen suchen. Auch der Umgang mit Unwetterschäden und die wichtige Rolle des Bevölkerungsschutzes beschäftigt beide Regionen", führte der Landeshauptmann aus, der von einem überaus "fruchtbringenden Austausch" sprach.
"Selbst wenn wir keine gemeinsamen Grenzen haben: Unsere Länder verfügen beide über weitreichende autonome Zuständigkeiten, wodurch sich zahlreiche Parallelen und gemeinsame Herausforderungen ergeben", erklärte Ministerpräsident Paasch, der Südtirol für den freundschaftlichen Empfang und für die Unterstützung bei den Unwetterschäden im vergangenen Sommer dankte. Auch Ostbelgien, dessen Autonomie eine ähnliche Entwicklung genommen habe wie jene Südtirols, feiere in naher Zukunft, 2023, sein 50-jähriges Autonomie-Jubiläum. "Heute gehören wir mit Südtirol zu den bestgeschützten Minderheiten der Welt. Wir können viel voneinander lernen", betonte der Ministerpräsident. Als konkrete Beispiele nannte Paasch das Thema Inklusion und Schulbibliotheken sowie die Förderung von Studienplätzen: "Dieses Modell werden wir ganz sicher übernehmen", so Paasch. Ostbelgien hätte hingegen große Erfahrung mit Sprachvermittlungsmodellen sowie Rundfunkangeboten, was für Südtirol von Interesse sein könne.
Nicht zuletzt unterstrichen Kompatscher und Paasch die wichtige Brückenfunktion, die beide Länder einnehmen: Beide Länder seien ideale Brückenbauer zwischen dem germanischen und romanischen Kulturraum. Als solche würden sie einen großen Mehrwert für ihre Gebiete bringen und ihre Rolle werde dadurch auch innerstaatlich aufgewertet, betonten die beiden Regierungschefs.
Netzwerk von Autonomien stärken
Die Zusammenarbeit diene auch dazu, um das Netzwerk von Autonomien sprachlicher Minderheiten und Gebieten mit Mehrsprachigkeit in Europa zu stärken. "Die Themen Autonomie und Sprachminderheiten sind für uns beide von besonderer Bedeutung", unterstrich Landeshauptmann Kompatscher: "Gemeinsam sind wir in der Lage, unsere Anliegen in Europa voranzubringen."
Beide Regionen pflegen seit langem auch die direkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit: Während Südtirol an der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino beteiligt ist, ist Ostbelgien Teil des Europäischen Verbundes Territorialer Zusammenarbeit EVTZ Maas-Rhein. Sowohl Südtirol als auch Ostbelgien sind zudem seit über 20 Jahren im Europäischen Ausschuss der Regionen vertreten.
Kooperationsabkommen 1992 und 2016
Seit Jahrzehnten pflegt Südtirol mit der Deutschsprachigen Gemeinschaft Ostbelgiens einen regen Austausch. Die erste gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit war von den beiden Partnern bereits im April 1992 unterschrieben worden. Insgesamt wurden bisher sechs Kooperationsabkommen unterzeichnet. Das jüngste Kooperationsabkommen vom Juni 2016 legt fest, dass ein intensiver Informationsaustausch und eine umfassende Zusammenarbeit in den Themenbereichen öffentliche Verwaltung, interregionale Beziehungen, Standortmarketing, Familie und Soziales, Bildung und Forschung, Beschäftigung, Infrastruktur, Kunst und Kultur, Tourismus, Sport- und Freizeitgestaltung sowie Medien und Pluralismus erfolgen soll.
Bis Freitag in Südtirol
Ministerpräsident Oliver Paasch wird bei seiner Südtirolreise von Sophie Derichs, Beraterin des Ministerpräsidenten, Yves Kreins, Fachbereichsleiter für Außenbeziehungen, und Janina Vomberg, Referentin für Außenbeziehungen, begleitet.
Neben Treffen mit mehreren Mitgliedern der Landesregierung (Landesräte Achammer, Widmann und Schuler) ist auch die Besichtigung des NOI Techparks und des Terra X Cubes in Bozen Süd, des Zivilschutzzentrums in der Drususallee und einer Baustelle zum Hochwasserschutz im Unterland sowie des Landesweinguts Laimburg geplant. Die Delegation wird überdies den Südtiroler Landtag, die Handelskammer und den Sitz der Euregio in Bozen besuchen und mit dem Center for Autonomy Experience der Eurac zusammentreffen.
Die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens zählt rund 78.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Sitz der Regierung, des Parlamentes sowie Verwaltungszentrum ist Eupen. Die Deutschsprachige Gemeinschaft umfasst neun Gemeinden im Osten der Provinz Lüttich. Sie ist neben der Französischen Gemeinschaft und der Flämischen Gemeinschaft eine der drei Gemeinschaften des Königreichs Belgien.
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LPA/mpi