Der Weg zur Autonomie
Ist die Kundgebung von Sigmundskron auch ein einmaliger Meilenstein in Südtirols Autonomiegeschichte, so gibt es im internationalen Kontext Parallelen dazu. Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts scheinen die nationalen Minderheiten zu einem neuen Bewusstsein zu erwachen.
Im Gruber-Degasperi Abkommen von 1946
war eine politische Autonomie Südtirols
gemeinsam mit Trient in einer Region
vorgesehen. Diese Autonomie war sehr verwässert
und abhängig vom Goodwill der
Zentralregierung. Jede Konzession musste
der römischen Regierung abgerungen werden.
Da die traditionellen politischen Mittel
im Rahmen der Südtiroler demokratisch gewählten
Vertreter im römischen Parlament
wenig taugten, musste die Südtiroler Bevölkerung
das Heft selbst in die Hand nehmen.
Die etwa 35.000 Südtiroler, die sich in der
Burgruine von Sigmundskron am Tore ihrer
Hauptstadt Bozen im Herbst 1957 zusammenfanden,
waren Bürger, die die Allmacht
und Arroganz der fernen römischen Staatsmacht
nicht länger stumm tolerieren wollten.
Mehr noch, mit ihrem öffentlichen Protest
wollten sie auch die internationale Gemeinschaft
auf das ihnen zugefügte historische
Unrecht und ihre
unerfüllten Autonomieforderungen
aufmerksam machen,
Sigmundskron
steht aber auch in
der Kontinuität der
Selbstbestimmungskundgebungen,
die
1945/46 in Südtirol
und Österreich veranstaltet
wurden.
Die Kundgebung war nicht primär zivilgesellschaftlich
induziert, sondern vor allem ein
Indikator ethnischer Formierung, im Zeichen
des Wiederaufbaus der „Südtiroler Volksgruppe“.
Es war der Marsch von 35.000 Männern
und Frauen, die durch diesen Aufmarsch symbolischen
Druck auf den Zentralstaat auszuüben
suchten und sich zugleich als „deutsche“
Südtiroler verstanden. Sigmundskron folgte
zum einen gewiss spontaner Begeisterung,
war aber vor allem „von oben“, von der Leitung
der Südtiroler
Volkspartei geplant.
Zivilgesellschaftliche
Impulse wurden aufgegriffen,
aber auch
von der politischen
Führung der Südtiroler
kontrolliert.
Mit Sigmundskron
wurde eine
neue Phase in der
Südtirolpolitik eingeläutet. Von nun an blies ein rauerer Wind.
Nach Sigmundskron liefen zum einen die
Verhandlungen der SVP-Führung gemeinsam
mit der politischen Vertretung Tirols und der
österreichischen Regierung verstärkt an, zum
anderen erreichten die Attentate und die Militanz
des BAS-Südtirol und Nordtirol eine
neue Dynamik. Zivilgesellschaftliche Impulse
á la Sigmundskron hatten keinen Platz mehr
und wurden auch durch die ab 1960 verstärkte
Militärpräsenz massiv unterbunden.
Anstelle von Zivilcourage auf breiter Basis,
die in Sigmundskron kurzfristig aufblitzte,
setzte verstärkt Angst ein, die Bevölkerung
verhielt sich extrem zurückhaltend und eingeschüchtert.
Wien setzte erst in den 1960er
Jahren die Südtirolfrage auf die Hauptagenda
ihrer Diplomatie; zuerst musste man die
eigene Unabhängigkeit erkämpfen und die
neu gewonnene Neutralität absichern. Harte
diplomatische Verhandlungen mit Rom und
der geduldige Einsatz
der demokratischen
Mittel der politischen
Vertreter der Südtiroler
in Rom führten am
Ende der 1960er Jahre
zum Durchbruch.
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Der Autor: Günter Bischof, geboren 1953 in Mellau/ Vorarlberg, ist Professor und Vorstand des Instituts für Geschichte an der Universität New Orleans in den USA, sowie dort Direktor des „Center Austria“. Er hat in Innsbruck, Wien, New Orleans und Harvard Englisch, Geschichte und internationale Beziehungen studiert.